Fahrbericht

Scania gibt Gas

  • Wolfgang Tschakert
  • In FAHRBERICHTE
  • 14. Februar 2017, 10:36 Uhr

Wie schlägt sich ein mit Erdgas betriebener Lkw im Nahverkehr? Der schwedische 18-Tonner vom Typ Scania P280 CNG fährt sich fast wie ein Diesel. Im freien Spiel der Marktkräfte hat er aber geringe Erfolgschancen.

Wie schlägt sich ein mit Erdgas betriebener Lkw im Nahverkehr? Der schwedische 18-Tonner vom Typ Scania P280 CNG fährt sich fast wie ein Diesel. Im freien Spiel der Marktkräfte hat er aber geringe Erfolgschancen.

Alle Welt spricht von Elektromobilität, um die Umwelt, gerade die städtische, zu entlasten. So weit sind wir, zumindest flächendeckend, noch lange nicht. Aber schon bald drohen die nächsten Feinstaub-Alarme, dann könnten Diesel-Fahrzeuge aus den Innenstädten verbannt werden. Doch der Job muss weiter gehen, denn wie sonst gelangen Lebensmittel, Baustoffe und Maschinen in die Innenstädte? Der CNG-angetriebene Scania-Lkw passt in die Zeit und kommt gerade recht.

Die schwedische VW-Tochter bietet seit zwei Jahren im mittleren Leistungsbereich bis 340 PS zwei erdgasbefeuerte Fünfzylinder-Motoren an. Alternativ zu identisch starken Diesel-Varianten natürlich, sie zielen vor allem auf den mittelschweren Nah- und Regionalverkehr. Zuerst natürlich in Skandinavien, die CNG-Modelle könnten aber auch in Deutschland eine Rolle spielen. Hier argumentierten die Scania-Verkäufer noch vor Monaten mit dem steuerlich fixierten Kostenvorteil des Kraftstoffs Erdgas. Heute lassen die niedrigen Rohölpreise den Erdgasmobilen auf der Kostenseite nicht den Hauch einer Chance. Geht es um die Abgase, unterbietet der fremd gezündete Gasmotor selbst moderne Euro 6-Dieselmotoren um Längen. Also los, starten wir den Selbstversuch: Wie schlägt sich der Erdgas-Scania in der Praxis?

Unser Proband ist ein zweiachsiger Verteiler-Lkw mit Kofferaufbau, beladen bis zum Anschlag. Beim mittellangen P-Fahrerhaus von Scania müssen wir nicht lang verweilen. Nach mittlerweile 19 Jahren Bauzeit und nur geringen Retuschen bietet der Scania noch immer guten Komfort auf Regionaldistanz. Der hohe Motortunnel dominiert den Raum, darunter steckt das Objekt unseres speziellen Interesses: die Erdgasmaschine. Ein Fünfzylinder ist es mit 9,3 Liter Hubraum, abgeleitet aus dem Diesel-Programm.

Er arbeitet hier im Otto-Prinzip mit Fremdzündung, mit modifizierten Zylinderköpfen und Dreiwege-Kat. Der komprimierte CNG-Kraftstoff steckt in acht Hochdrucktanks aus leichten Verbundwerkstoffen, hier herrschen Drücke bis 200 bar. Für den Fahrbetrieb wird der Druck auf etwa 8,3 bar reduziert, und weil das Gas dabei sehr kalt wird, wärmt der Motorkühler den Druckregler auf Betriebstemperatur - keine triviale Angelegenheit. Das Gas-/Luftgemisch wird von einem Lambda-Sensor gesteuert, wie in jedem Benziner auch.

Bei der Auslegung der Gasmotoren legen die schwedischen Techniker Wert darauf, vergleichbare Leistungen zu erzielen. Der Fünfzylinder entspricht in PS-Zahl und Drehmomentverlauf seinen Dieselkollegen, wie die Diagramme zeigen. Aber fährt sich der 18-Tonner auch so? Voll beladen muss er auf die anspruchsvolle Testrunde, ihm bleibt nichts erspart. Zahllose Anfahrvorgänge, bergauf und bergab im Stadtverkehr, auf Land- und Bundesstraßen. Zuerst dominiert der Eindruck eines ungewöhnlich leisen Triebwerks, der aufgrund seiner ungeraden Zylinderzahl etwas unrund läuft.

Die leise Gangart unter Teillast ist ein wesentliches Argument in den Nachbarländern. In den Niederlanden beispielsweise finden Gas-Lkw gerade für den städtischen Einsatz großen Anklang. Sie erfüllen sogar die PIEK-Norm (Lärmzertifizierung in den Niederlanden) für die nächtliche Anlieferung in Städten, das könnte auch in Deutschland ein Thema werden. Die Fahr- und Arbeitsgeräusche des Scania-Antriebs sind außen noch leiser als im Fahrerhaus.

Seinem diskreten Wesen entspricht auch die Leistungsentfaltung - nicht überschäumend, eher schaumgebremst. Sein Antritt, nicht allzu resolut, wird vom Drehmomentwandler unterstützt. Die Drehmomentüberhöhung kaschiert die latente Anfahrschwäche, die aber mit Allison-Automatik nicht stört - das angebotene Handschaltgetriebe wäre hier sicher die zweite Wahl. Die Beschleunigung, anfangs sanft, verläuft deutlich flotter als vermutet, der Sechsgang-Getriebeautomat schaltet weich und schnell genug. Mit 65 km/h auf der Landstraße dreht der Fremdzünder mit geringen Kraftstoffgaben mit 1.000 Touren und kann jederzeit zulegen.

Nicht so handsam zeigt sich hier das Getriebe. Es offeriert nebenbei ein leistungsbetontes Schaltprogramm, das man aber kaum benötigt. Wichtiger wäre eine manuelle Eingriffsmöglichkeit, beispielsweise für die Bergabfahrt, sie lässt sich aber nur umständlich aktivieren. Dafür gibt es einen belastbaren Retarder, eine Motorbremse als Dauerbremse wäre für einen Ottomotor artfremd. Der sonstige Fahreindruck ist typisch für die Marke. Die Lenkung funktioniert präzise, beim Fahrverhalten zählt der in die Jahre gekommene Scania immer noch zu den Besten. Die beiden luftgefederten Achsen bieten fast Omnibus-Komfort für sensible Ladungen, der Fahrer findet es prima.

Dass man den Gasfahrzeugen einen Gewichtsnachteil nachsagt, bestätigt sich bei der Fahrt auf die Waage. Für die acht Kraftstofftanks, das Allison-Getriebe und den CNG-Motor summieren sich 350 Extra-Kilogramm, der Rest geht auf das Konto des Fahrzeugbauers. Und wie steht es um den Kraftstoffverbrauch? Aus der finalen Tankung errechnet sich ein durchschnittlicher Konsum von 20 Kilogramm Erdgas pro 100 Kilometer, die 26 Liter Diesel entsprechen. Ein guter Wert bei kalten Temperaturen und ungünstiger Witterung, nebenbei profitiert die Umwelt von der vorbildlichen Abgasqualität. Für knallharte Rechner ist der Erdgas-Scania heute kein Geschäft. Auf der Sollseite steht der prohibitive Aufpreis von 43.000 Euro, der durch einen vergleichsweise hohen Kraftstoffpreis nicht amortisiert werden kann.

Rechnen allein genügt nicht, will man auch morgen noch liefern. Ändern sich die städtischen Lieferbedingungen, braucht es neue Konzepte. Dann heißt es nicht mehr "Gas oder Diesel", sondern "Gas- oder Elektroantrieb". Die elektrische Lösung für schwere Lkw ist noch viel zu teuer und noch wenig praktikabel, der funktionierende Erdgasantrieb aber ist schon heute zu haben.

Wolfgang Tschakert / mid

Technische Daten Scania P280 CNG:
Verteiler-Lkw, Länge/Breite/Höhe/Radstand in Meter: 9,95/2,55/3,37, Leergewicht: 10.300 kg, zul. Gesamtgewicht: 18.000 kg, zul. Zuggesamtgewicht: 23.000 kg, Testgewicht inkl. Fahrer und vollem Tank: 17 540 kg, Kraftstofftank: 656 l CNG (entspricht 130 l Diesel), zul. Anhängelast: 18 t, zul. Achslast 10,7 t. Bereifung: 315/70 R 22,5., Preis Fahrgestell: 123.787 Euro.
Antrieb: Fünfzylinder-Otto-Motor mit Turboaufladung und Ladeluftkühlung, Hubraum: 9.300 ccm, Nennleistung: 206 kW/280 PS bei 1.950/min, max. Drehmoment: 1.350 Nm bei 1.000-1.400/min, 6-Gang-Wandlerautomatik Allison GA766R mit integriertem Retarder, Abgasnorm: Euro 6. Kraftstoffverbrauch Erdgas Schnitt: 20,03 kg/100 km, Beschleunigung: 0-60 km/h: 20,6 s, 0-70 km/h: 26,7 s, 0-80 km/h: 37,5 s.

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