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Elektromobilität: Kommt mit dem E-Roller die Wende?

  • Solveig Grewe
  • In NEUHEITEN
  • 6. Mai 2019, 17:30 Uhr

Elektro-Tretroller sind voll im Trend. Immer mehr Menschen sausen damit durch die Städte, umfahren Staus, sparen sich teure Parktickets und Nerven kostende Parkplatzsuchen. In Deutschland hat die Bundesregierung Anfang April ein erstes grünes Licht für die Roller gegeben.


Elektro-Tretroller sind voll im Trend. Immer mehr Menschen sausen damit durch die Städte, umfahren Staus, sparen sich teure Parktickets und Nerven kostende Parkplatzsuchen. In Deutschland hat die Bundesregierung Anfang April ein erstes grünes Licht für die Roller gegeben. Vorgesehen ist, dass E-Scooter, für die generell kein Führerschein erforderlich ist, mit einer Geschwindigkeit ab 12 km/h bis maximal 20 km/h auf Radwegen und Radstreifen fahren sollen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von unter 12 km/h dürfen sie auch auf Gehwegen unterwegs sein. Eine Regelung, die man in Paris aufgrund "leicht anarchischer Entwicklungen" auf den Bürgersteigen gerade wieder ad acta gelegt hat.

Wie in fast allen europäischen Großstädten, in Asien und in den USA gehören E-Scooter auch in Malaga (Spanien) schon länger zum Stadtbild. Der Motor-Informations-Dienst (mid) hat dort erste Praxiserfahrungen mit der angesagt umweltfreundlichen Mobilitätslösung gesammelt.

Die nicht nur bei Kreuzfahrern beliebte Hafenstadt an der Costa Blanca sprudelt gerade mal wieder über von Besuchern. Gemächlich schieben sich die Touristen die Bürgersteige entlang, ungeduldig überholt von Einheimischen. Am schnellsten unterwegs sind diejenigen, die sich, lässig auf ihren E-Scootern stehend, zwischen den Passanten, angeleinten Hunden und Kinderwagen hindurch gekonnt ihren Weg suchen. Geht es gar nicht weiter, gleiten sie haarscharf an Bordsteinen vorbei hinein in den Sog des Straßenverkehrs. Dort werden sie von sonst eher toleranten Taxifahrern empfangen, die über die um Geschäft und Platz neu konkurrierenden Verkehrsmittel erkennbar nicht erfreut sind.

Wer keinen eigenen Roller besitzt - was eher die Regel ist - mietet sich einen. Möglichkeiten gibt es massig: E-Scooter-Sharing-Plattformen. In Malaga rangeln sich gleich sechs Anbieter um die noch übersichtliche Anzahl von meist unter 30-jährigen Nutzern: Die beiden kalifornischen Start-Ups Lime und Bird, die deutschen Start-Ups Wind und Tier, das Stockholmer Unternehmen Voi und der junge spanische Anbieter Movo. Kleiner Wermutstropfen: Chaotische Verhältnisse in den Städten oder schwere Unfälle könnten zu Regulierungen oder Verboten, Vandalismus schon nach kurzer Zeit zum Verlust der Roller führen. Schon jetzt sehen in Malaga viele der flinken Fortbewegungsmittel arg mitgenommen aus.

In die Plattformen haben Investoren Millionen in der Hoffnung auf die Vorherrschaft im jungen Geschäftsfeld gesteckt. Die in aller Regel aus China für etwa 300 Dollar importierten Roller können bei guter Auslastung schon nach einem Monat Gewinn einfahren. Der Zugriff auf einen Scooter läuft bei den Anbietern immer gleich: Man lädt sich die App auf das Smartphone und gibt die Daten einer Kreditkarte preis. Angezeigt werden dann auf der Karte alle verfügbaren E-Scooter, natürlich nur die eines Anbieters, einschließlich des Ladezustands. Wer alle Scooter in Malaga sehen will, muss eben auch alle Apps herunterladen. Jeder Roller hat am Lenker einen QR-Code, den es zu scannen gilt. Ist man über die App identifiziert, gibt ein akustisches Signal den Scooter frei.

Dass mit der App dem Unternehmen erlaubt wird, die gesammelten Daten wie GPS-Routen, Zugriffszeit, Zugriffsdatum und IP-Adressen des Smartphones zu nutzen, versteht sich von selbst. Zur Beschleunigung bringt man den Scooter wie den klassischen Pucki-Roller aus Kindertagen mit einem kräftigen Fußtritt. Per Tastendruck am Lenker düst das Gefährt recht forsch los. Es braucht etwas Zeit, um sich an die Beschleunigung der bei gerader Strecke über 27 km/h schnellen E-Roller zu gewöhnen. Für erste Fahrversuche sind freier Platz und Ruhe sehr empfehlenswert! Gut zu wissen, eine Bremse findet sich links am Lenker. Einige Rollertypen bremsen elektrisch, die anderen mechanisch per Scheibe.

In der App verpflichtet man sich, nur allein auf einem Roller zu fahren. Doch die Realität in Malaga sieht ganz anders aus: Noch schauen die Vertreter der Obrigkeit großzügig darüber hinweg, wenn Familienväter mit den beiden Jüngsten hinter sich oder verliebte Pärchen eng umschlungen zu zweit auf einem Roller über den Platz Constitucion im Herzen von Malaga summen. Die nicht nur bei weiblichen Fahrern verbreitete Sorge um die Frisur ist unbegründet, eine Helmpflicht ist nicht einmal in Deutschland geplant. Allerdings werden für Deutschland eine Klingel, Licht samt Bremslicht, zwei unabhängige Bremsen und eine Haftpflichtversicherung obligatorisch sein.

Die Reichweite der etwa 20 Kilogramm leichten, kompakten, falt- und tragbaren E-Scooter liegt zwischen 15 und 30 Kilometern. Damit sind sie ideal, um kurze Strecken zurückzulegen oder auch gut geeignet für Berufspendler. Für Pfennigfuchser: Die luftige 3,0 Kilometer lange Fahrt vom Bahnhof Malaga Maria Zambrano in der Stadt bis zum Leuchtturm La Farola dauert mit dem Scooter etwa zehn Minuten. Alle Anbieter stellen einen Euro Grundgebühr in Rechnung, jede gefahrene Minute kostet 15 Cent. Summa summarum macht das 2,50 Euro. Zu Fuß wäre man über eine halbe Stunde unterwegs. Eine Fahrt mit dem Bus liegt mit 1,30 Euro darunter, dauert aber mit 22 Minuten deutlich länger und man muss neun Minuten davon zu Fuß gehen. In jedem Fall teurer wird die Fahrt mit dem Taxi, für die man zwischen fünf bis sieben Euro veranschlagen muss.

Dafür ist die Nutzungsmöglichkeit des Rollers stark eingeschränkt, Stauraum gibt es keinen und die schicke Handtasche sollte tunlichst gegen einen praktischen Rucksack getauscht werden. Für eine zweistündige Sightseeing-Tour über den Nachmittag hinweg mit anschließendem Strandbesuch taugt der geliehene E-Scooter trotzdem wenig, weil viel zu teuer. Für die Bewohner Malagas werden die Scooter wie überall zunehmend zum Ärgernis. Nur wer als Abstellplatz eine in der App rot markierte Parkverbotszone wählt, soll 25 Euro Strafe zahlen. Ob und wie die Vermieter das eintreiben, ist eine der vielen ungeklärten Fragen. Ansonsten werden die Scooter nach Gebrauch gedankenlos einfach mitten auf dem Bürgersteig abgestellt, versperren Garagentore oder liegen achtlos hingeworfen vor Mülltonnen. Längst nicht jeder Nutzer lädt, wie vorgesehen, auch ein Bild vom abgestellten Scooter auf die App des Anbieters.

Weil das Einsammeln und Aufladen der Scooter für die Sharing-Firmen selbst finanziellen und logistischen Aufwand bedeutet, schicken sie Freelancer los, die die kreuz und quer verstreuten Scooter einsammeln und zu Hause über das vom Anbieter zur Verfügung gestellte Ladegerät wieder aufladen. Für jeden voll elektrifizierten Roller winken den Aushilfen je nach Dauer des Ladevorgangs und Schwierigkeit der Ortung des Scooters zwischen drei bis zehn Euro Salär. Spätestens um 7 Uhr müssen die Roller an einem festgelegten Standort wieder aufgestellt werden, ansonsten gibt es Abzüge.

In Deutschland entscheidet der Bundesrat am 17. Mai über die vom Bundesverkehrsministerium vorgelegte Verordnung zu den "Elektrokleinstfahrzeugen". Besonders die geplante Benutzung von Gehwegen stößt hierzulande bei Unfallforschern und einigen Landesverkehrsministerien auf Bedenken. Kopfzerbrechen bereitet auch die Frage, ob und zu welchem Preis man die Roller mit in Bus und Bahn nehmen darf sowie die Lösung versicherungsrechtlicher Fragen. Lime, Tier und Co. stehen in den deutschen Städten von Berlin, Bamberg bis Bielefeld längst in den Startlöchern - bereit für das große Geschäft mit den kleinen Rollern.

Solveig Grewe / mid

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