Motorsport

Sebastian Vettel und die offene Zukunftsfrage

  • Andreas Reiners
  • In SPORT
  • 14. September 2021, 12:36 Uhr
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mid Groß-Gerau - Sportlich läuft es für Sebastian Vettel bescheiden. Aston Martin

Eine gewisse Altersmilde ist bei Sebastian Vettel nicht mehr von der Hand zu weisen. Der viermalige Formel-1-Weltmeister wirkt lockerer, gelassener, entspannter - und vollzieht damit gerade einen bemerkenswerten Image-Wandel. Was wiederum dazu führt, dass es Spekulationen um seine sportliche Zukunft gibt.


Eine gewisse Altersmilde ist bei Sebastian Vettel nicht mehr von der Hand zu weisen. Der viermalige Formel-1-Weltmeister wirkt lockerer, gelassener, entspannter - und vollzieht damit gerade einen bemerkenswerten Image-Wandel. Was wiederum dazu führt, dass es Spekulationen um seine sportliche Zukunft gibt. Die schien für 2022 bei Aston Martin zu liegen - so glasklar wie vor einigen Wochen ist das aber offenbar nicht mehr.

Dafür sorgt auch Vettel selbst, der auf die Frage nach der kommenden Saison immer wieder herumdruckst. Hintergrund: Vettel soll einen sogenannten 1+1-Vertrag besitzen, bei dem beide Parteien bis zu einem bestimmten Datum eine Option für die kommende Saison ziehen können. Teamchef Otmar Szafnauer bestätigte, dass es Daten innerhalb des Vertrags gebe, zu denen eine Entscheidung gefällt werden müsse. Diese Daten sind noch nicht erreicht.

Medienberichte über einen Riss in der Beziehung zwischen Vettel und dem Team wies er allerdings entschieden zurück, sie seien "zu 100 Prozent Unsinn", versichert Szafnauer. Hinzu kommt: "Wir haben keinen Plan B. Es gibt null Reibungspunkte. Fragt ihn doch selbst! Ich bin sicher, dass er sagen wird, dass er das hier liebt. Es geht wirklich nur noch darum, ein paar Details zu klären." Die Bekanntgabe für 2022 sei "nicht mehr weit weg", kündigte Szafnauer an.

Doch warum kommt es zu den Gerüchten? Zwei wichtige Punkte kommen zusammen: Zum einen die sportliche Seite. 2021 fährt Vettel bis auf wenige Ausnahmen mit Aston Martin meist nur im Mittelfeld mit, die Ansprüche des Ex-Champions sind fraglos andere. Wie es 2022 mit dem neuen Reglement und den neuen Autos aussehen wird - offen. Die monetären Voraussetzungen sind mit dem Geld von Mitbesitzer Lawrence Stroll, immerhin Milliardär, allerdings vorhanden. Doch Geld alleine garantiert auch in der Formel 1 keine Siege - zumindest nicht kurzfristig.

Der zweite Punkt ist der Wandel Vettels: Der 34-Jährige wird zu einem der größten Kritiker der Formel 1, hinterfragt und prangert an, legt den Finger in die Wunde, und das in diversen Bereichen. Außerdem nutzt er die Rennserie auch als Bühne. So setzt er mit dem Kniefall vor jedem Rennen ein Zeichen gegen Rassismus, in Ungarn setzte er sich mit einem Regenbogen-Shirt mit dem Aufdruck "Same Love" für die Rechte der Homosexuellen ein. Für die Aktion hatte er von der Rennleitung eine Verwarnung kassiert.

"Ich denke, es gibt Themen, da kann man sich nicht wegducken oder sagen: Das gehört hier nicht hin. Lasst uns nicht darüber sprechen. Manche Themen sind so groß, dass sie buchstäblich überall hin gehören, und jeder muss sich dessen bewusst sein", sagte Vettel dem Sender BBC. Aber sollte man Sport und Politik tatsächlich vermischen? Vettel: "Sprechen wir über Politik, wenn wir über Menschenrechte reden? Ich denke nicht so."

Daneben macht er keinen Hehl aus seiner grünen Einstellung, verriet, dass er die gleichnamige Partei Ende September wählen werde. Er redet aber nicht nur, er geht auch praktisch voran: In Silverstone sammelte er nach dem Rennen mit den Fans Müll auf, er ist Botschafter für das Projekt "BioBienenApfel" und hatte auch ein Praktikum auf einem Bio-Bauernhof gemacht.

"Es geht darum, das eigene Handeln zu hinterfragen. Jeder hat seinen eigenen Zugang", sagte Vettel. "Ich finde es toll, dass wir ein bisschen was tun können. Jeder Einzelne kann mitmachen." Vettel hinterfragt dabei nicht nur sich, sondern auch die Formel 1. Denn die Königsklasse macht zu wenig für Nachhaltigkeit und Umweltschutz, findet er. Und mit der Meinung hält er nicht hinter dem Berg, er bezieht Position und eckt damit in der Formel 1 auch an.

"Die Frage ist, ob uns das reicht als Gesellschaft. Die Antwort ist Nein", sagte er bei Sky. "Im Moment läuft zu viel schief. Das Ärgerliche ist, dass manche Lösungen schon auf dem Tisch liegen. Vielleicht nicht ganz perfekt, aber sie sind schon da. Da ist es schade, dass wir uns dem Neuen so verschließen und uns dagegen sträuben", sagt Vettel und spielt damit auf nachhaltigen Kraftstoff an. Der soll erst in ein paar Jahren eingeführt werden - zu spät, findet Vettel.

Hinzu kommt unverhohlene Kritik an den Machern bei den Abläufen beim Regenrennen in Spa. Er legte sich mit der Rennleitung an, monierte, dass ein Fahren zu unsicher sei, kritisierte die Entscheidung, dass man nur wegen des Geldes die zwei Showrunden gefahren sei. Dass er nach einem Crash von Lando Norris in der Eau Rouge als erster an der Unfallstelle hielt und erst weiterfuhr, als der McLaren-Pilot Entwarnung gegeben hatte, zeigte den neuen Vettel und seine veränderte Popularität formschön in einer einzigen Aktion.

Bemerkenswert dabei: Es ist noch nicht lange her, dass Vettel mit Patzern, Jähzorn und Dickköpfigkeit Fans gegen sich aufbrachte. Im Mai 2020 stellte das Fachportal "The Race" noch die Frage: "Warum hassen so viele Sebastian Vettel?" Doch dabei ging es um den Sportler Vettel. Der steht durch zwei schwache Saisons nicht mehr so im Fokus, dafür immer mehr der Mensch Vettel.

Der hat sich auch verändert, und mit ihm seine Sicht auf die Dinge. Eine Altersmilde, die seine Sinne für die wichtigen Dinge abseits des großen Milliarden-Zirkus noch einmal zusätzlich schärft? Möglich, doch bei allem Image-Wandel hatte Vettel schon immer einen Blick über den Tellerrand hinaus geworfen. Im Herbst seiner Karriere sehen ihn die Fans nun aber als "Old School", "Ehrenmann" und als "Elder Statesman" der Formel 1. Eine Rolle, die ihm steht.

Der neue Vettel wird von den Fans mehr und mehr gefeiert - er selbst scheint sich aber dabei auch zu fragen, ob die heutige Formel 1 das ist, was er tatsächlich noch machen will. Nicht nur, was den Umweltschutz betrifft. Denn bei aller Lockerheit und Altersmilde - für ein dauerhaftes Fahren im Mittelfeld ist Vettel dann doch noch zu ehrgeizig.

Andreas Reiners

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