Inmitten internationaler Sorge um die armenische Bevölkerung in Berg-Karabach haben erste Flüchtlinge aus der umstrittenen Kaukasus-Region Armenien erreicht. Dies beobachteten AFP-Korrespondenten an der Grenze.
Inmitten internationaler Sorge um die armenische Bevölkerung in Berg-Karabach haben erste Flüchtlinge aus der umstrittenen Kaukasus-Region Armenien erreicht. Wie AFP-Korrespondenten am Sonntag an der Grenze beobachteten, wurde eine Gruppe von einigen Dutzend Menschen von aserbaidschanischen Grenzschutzbeamten befragt, bevor sie in das armenische Dorf Kornidsor durchgelassen wurde. Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan deutete unterdessen eine außenpolitische Abkehr von Russland an.
Die Gruppe Flüchtlinge bestand hauptsächlich aus Frauen, Kindern und alten Leuten. In einem eigens eingerichteten Ankunftszentrum wurden sie von armenischen Beamten registriert. Auf armenischer Seite hatten Menschen seit Tagen auf die Ankunft der Flüchtlinge aus Berg-Karabach gewartet.
Am Dienstag hatte Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive in Berg-Karabach gestartet. Bereits einen Tag später wurde eine Waffenstillstandsvereinbarung geschlossen. Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die Enklave und hatten sich deshalb bereits zwei Kriege geliefert, zuletzt im Jahr 2020.
Einige Flüchtlinge sagten AFP, sie seien aus dem Grenzdorf Eghzahogh, während andere einen weiteren Weg hinter sich hatten. Ein Mann gab sich als Kämpfer der selbsternannten Republik Berg-Karabach zu erkennen. "Unsere Familien waren in Schutzunterkünften", sagte er. "Gestern mussten wir unsere Gewehre niederlegen, also gingen wir."
Aserbaidschans Innenministerium kündigte am Sonntag an, es werde Busse für ehemalige Kämpfer Berg-Karabachs bereitstellen, um sie nach Armenien zu bringen.
Seit dem militärischen Sieg Aserbaidschans in Berg-Karabach ist international die Sorge um das Schicksal der rund 120.000 armenischen Bewohner Berg-Karabachs gestiegen. US-Außenminister Antony Blinken übermittelte einem Sprecher zufolge dem armenischen Regierungschef Paschinjan am Samstag in einem Telefongespräch die "tiefe Besorgnis" Washingtons um die ethnischen Armenier in Berg-Karabach.
US-Chefdiplomat Blinken versicherte laut Washington, dass die Vereinigten Staaten Aserbaidschan drängten, "die Zivilbevölkerung zu schützen" und "die Menschenrechte und Freiheitsgrundrechte der Bewohner von Berg-Karabach zu respektieren".
Bei der UN-Generaldebatte in New York forderte der armenische Außenminister Ararat Mirsojan, die Vereinten Nationen müssten unverzüglich Truppen entsenden, um die "Menschenrechts- und Sicherheitslage vor Ort zu überwachen und zu bewerten".
Armenien wirft Aserbaidschan vor, eine ethnische Säuberung in Berg-Karabach zu planen. Das Gebiet gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt.
Der aserbaidschanische Außenminister Dscheihun Bajramow sagte in seiner Rede bei der Generaldebatte, das mehrheitlich muslimische Aserbaidschan werde die Rechte der christlichen Armenier achten. Sein Land sei "entschlossen, die armenischen Einwohner der Region Karabach in Aserbaidschan wieder als gleichberechtigte Bürger zu integrieren". Baku sehe eine "historische Gelegenheit" für Aserbaidschan und Armenien, "gute nachbarschaftliche Beziehungen" zu schaffen.
Am Samstag hatte die aserbaidschanische Armee die begonnene Entwaffnung pro-armenischer Kämpfer in Berg-Karabach bestätigt. Es seien bereits "Waffen und Munition beschlagnahmt" worden, sagte Armeesprecher Anar Ejwasow in der Stadt Schuscha südlich der Gebietshauptstadt Stepanakert. Die aserbaidschanische Armee arbeite dabei "eng mit den russischen Friedenstruppen zusammen".
Auch die russische Armee vermeldete, dass die pro-armenischen Kämpfer in der umstrittenen Kaukasus-Region mit der Abgabe ihrer Waffen begonnen hätten. Es seien zunächst sechs Panzer, mehr als 800 leichte Waffen sowie 5000 Schuss Munition abgegeben worden.
Der armenische Regierungschef ging allerdings in einer Fernsehansprache auf Distanz zu Russland. Die von Russland dominierte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO), in der auch Armenien Mitglied ist, sei "ineffektiv" und "unzureichend", sagte Paschinjan. Er sprach sich für einen "Umbau" und eine "Ergänzung" der bisherigen "Werkzeuge der armenischen äußeren und inneren Sicherheit" aus und warb dafür, mit all jenen Partnern zusammenzuarbeiten, "die bereits sind für gegenseitig vorteilhafte Schritte".
Armenien hatte in dem Konflikt mit Aserbaidschan um Berg-Karabach auf die Unterstützung des Militärbündnisses gehofft. Russland argumentierte allerdings, die Regierung in Eriwan selbst erkenne Berg-Karabach als Teil Aserbaidschans an und weigerte sich, Armenien zu helfen.
Unterdessen kündigte das türkische Präsidialamt an, Staatschef Recep Tayyip Erdogan werde sich am Montag mit Aserbaidschans Präsidenten Ilham Alijew in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschwean treffen. Bei ihrem Gespräch sollen demnach die "neuesten Entwicklungen" in Berg-Karabach im Mittelpunkt. Der türkische Präsident hatte in den vergangenen Tagen mehrmals seiner "Unterstützung" für die Armee Bakus Ausdruck verliehen.