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Steinmeier: Lehrer können bei Extremismus "nicht neutral wegschauen"

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Bundespräsident Steinmeier Bild: AFP

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Solidarität mit Lehrkräften gefordert, die extremistische Angriffe gegen die Demokratie im Schulalltag erleben. Er wandte sich zugleich gegen eine falsch verstandene Neutralität an Schulen.

Angesichts steigender Zahlen rechtsextremistischer Vorfälle an Schulen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Solidarität mit Lehrkräften gefordert, die rassistische oder antisemitische Angriffe erleben. "Wir müssen sie unterstützen", sagte Steinmeier zu "Stern" und RTL. Zwar sollten Lehrkräfte parteipolitisch neutral sein. "Aber wenn Lehrer auf Situationen im Unterricht und auf dem Pausenhof treffen, bei denen Kinder sich rassistisch oder antisemitisch äußern, dann können sie nicht neutral wegschauen", sagte Steinmeier. Ähnlich äußerte sich auch Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU).

Steinmeier unterstrich die Bedeutung von Demokratiebildung und Beteiligung in der Schule: "Demokratie ist nicht nur die Herrschaft der Mehrheit, sondern auch der Schutz von Minderheiten. Dafür gibt es kein Unterrichtsfach. Das müssen wir in der ganzen Schule leben." Jede Schule in Deutschland müsse eine demokratische Schule sein.

Hintergrund der Äußerungen sind immer mehr rechtsextremistische Vorfälle an Schulen. In zehn Bundesländern findet dem Bericht von RTL und "Stern" zufolge eine systematische Erfassung der Vorfälle statt. Demnach haben die dortigen Zahlen von rechtsextremistischen Vorfällen in Schulen im vergangenen Jahr einen Höchstwert erreicht. 

Bildungsministerin Prien forderte in diesem Zusammenhang eine bundesweit einheitliche Erfassung von extremistischen Vorfällen an Schulen. "Dass wir keine einheitliche Dokumentation haben, ist ein absolutes Manko", sagte Prien. "In einzelnen Bundesländern werden rechtsextremistische, antisemitische oder andere extremistische Vorfälle als solche erfasst, in anderen nicht. Ich würde es begrüßen, wenn die Länder dies nach einheitlichen Kriterien erheben würden."

Prien stellte sich ausdrücklich hinter Lehrer und Lehrerinnen in Deutschland, forderte von ihnen aber auch ein entschlossenes Auftreten gegen den zunehmenden Rechtsextremismus in den Klassenzimmern. "Die Schulen müssen Haltung und Konsequenz zeigen, in Ausnahmefällen Anzeige erstatten", sagte Prien. 

Besorgt äußerte sich auch die Bildungsgewerkschaft GEW. Deren Vorsitzende Maike Finnern verwies auf  Versuche der in Teilen rechtsextremen AfD, an Schulen an Einfluss zu gewinnen. Auch sie verwies dabei auf Versuche, das parteipolitische Neutralitätsgebot der Schulen für sich zu nutzen. In den vergangenen Jahren hatte die AfD etwa mit Meldeportalen im Internet für Aufsehen gesorgt, über die Lehrkräfte gemeldet werden konnten, die sich angeblich zu politisch geäußert hatten.

"Die AfD nimmt mit der Debatte um das vermeintliche Neutralitätsgebot bereits massiven Einfluss auf Lehrkräfte", warnte Finnern. "Viele sind verunsichert: Was darf ich sagen, was nicht? Das sind Fragen, die sich Beschäftigte an Schulen zunehmend stellen", sagte sie weiter "Stern" und RTL.

Aus Sicht der GEW beruht die Verunsicherung auf einem falschen Verständnis von Neutralität, denn Lehrkräfte seien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet. "Demokratie ist nicht neutral", stellte Finnern klar. "In unserem Grundgesetz stehen die Werte, an denen sich unsere Gesellschaft ausrichtet: Menschenwürde, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Solidarität." Die AfD leugne jedoch diese Wertebasiertheit.

Die Besorgnis aus Politik und Lehrergewerkschaft teilt auch eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland. 73 Prozent der Bundesbürger machen sich demnach große oder sehr große Sorgen, geht aus einer Forsa-Umfrage für "Stern" und RTL hervor. Unter den Anhängern fast aller Parteien liegt der Wert teils weit über 80 Prozent – nur unter AfD-Anhängern macht sich mehr als die Hälfte weniger große oder gar keine Sorgen. 

Eine Kluft zwischen den Anhängern der AfD und den Anhängern aller anderen Parteien zeigt sich in den Umfrageergebnissen auch bei den Erwartungen an Lehrkräfte. Nur neun Prozent der Bundesbürger verstehen unter einem neutralen Verhalten von Lehrkräften, dass diese sich politisch überhaupt nicht äußern, nicht einmal in Reaktion auf verfassungsfeindliche Positionen von Schülerinnen und Schülern. Unter den Anhängern der AfD liegt dieser Anteil bei 24 Prozent.

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