Der Bundestag hat die umstrittenen Pläne für einen neuen Wehrdienst beschlossen. Der Gesetzentwurf der Regierungskoalition aus Union und SPD wurde am Freitag in namentlicher Abstimmung mit der nötigen Mehrheit angenommen.
Fragebogen, Pflicht-Musterung, aber vorerst weiter freiwillig zum Bund. Der Bundestag hat die umstrittenen Pläne für einen neuen Wehrdienst mit den Stimmen der Regierungsfraktionen Union und SPD beschlossen. Grüne, Linke und AfD stimmen aus unterschiedlichen Gründen dagegen. Bundesweit riefen Jugendorganisationen für Freitag zu einem Schülerstreik und Protesten gegen die Wehrdienstpläne auf.
Union und SPD hatten lange um den Wehrdienst gestritten. CDU/CSU forderten dabei zunächst einen Automatismus für einen Übergang zu einer Wehrpflicht, wenn Personalziele zur Stärkung der Bundeswehr nicht erreicht werden. Da nicht alle Männer eines Jahrgangs gebraucht werden, war dafür ein Losverfahren zur Auswahl im Gespräch. Dagegen legte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sein Veto ein.
Die Wehrdienstpläne wurden nun im wesentlichen so beschlossen, wie von Pistorius geplant. Sie sehen vor, dass 18-Jährige Männer angefangen mit dem Jahrgang 2008 ab kommendem Jahr sich in einen Fragebogen zum Interesse am Wehrdienst äußern und verpflichtend zur Musterung müssen. Der Dienst an der Waffe bleibt aber vorerst weiter freiwillig. Für Frauen ist das Ausfüllen des Fragebogens ebenso wie die Musterung freiwillig.
Es gehe um eine "Musterung, die niemandem wehtut", sagte Pistorius in der Bundestagsdebatte. Der Wehrdienst bleibe freiwillig, "wenn alles so gut läuft, wie wir uns das versprechen". Zur Ehrlichkeit gehöre aber auch, dass es die Möglichkeit einer "Teil-Wehrpflicht" gebe, wenn sich die Bedrohungslage "schlechter entwickelt" und Personalziele für die Bundeswehr nicht erreicht würden. Über die Einführung einer sogenannten Bedarfswehrpflicht müsste dann aber erneut der Bundestag befinden.
Der CDU-Verteidigungspolitiker Norbert Röttgen sagte, die Erhöhung der Personalstärke der Bundeswehr sei angesichts der Bedrohung durch Russland nötig. Dafür gebe es im Gesetz eine "mit konkreten Zahlen ausgestatteten Aufwuchsplan", sagte er. Wenn über das Freiwilligen-Modell nicht genügend Menschen für die Bundeswehr gefunden würden, werde das Parlament erneut entscheiden.
Die Grünen-Abgeordnete Sara Nanni kritisierte, dass die Pläne keine systematische Abfrage für den Dienst etwa im Zivilschutz vorsähen und zunächst nur 18-jährige Männer verpflichtend den Fragebogen ausfüllen müssen und nicht "alle Generationen" und "alle Geschlechter".
Die Linke lehnt die Wehrdienst-Pläne kategorisch ab; sie sieht darin die Vorbereitung einer Wehrpflicht. Die Linken-Abgeordnete Desiree Becker unterstützte die Schülerstreiks: "Geht auf die Straße, streikt heute gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht", sagte sie an die jungen Menschen gewandt.
Die SPD-Abgeordnete Siemtje Möller wies den Vorwurf zurück, dass die Pläne zur Vorbereitung einer Wehrpflicht dienten. Falsch sei auch, "dass wir zukünftig die Lostrommel rühren, um Euch als Kanonenfutter in die Ukraine zu schicken", sagte sie an junge Menschen gerichtet. "Das ist Populismus pur."
Die AfD hielt die Freiwilligkeit des neuen Wehrdienstes unterdessen für unzureichend. "Ohne grundlegende Reform bleibt die Bundeswehr chronisch unterbesetzt", sagte der Abgeordnete Heinrich Koch. Gleichzeitig biete das Gesetz keine Garantie, dass junge Rekruten künftig nicht in "Konflikte jenseits unserer Grenzen geschickt" würden.
Pistorius zeigte Verständnis für die Schülerproteste. Diese gehörten "zur Debatte innerhalb einer Demokratie". Äußere Sicherheit sei aber "keine Selbstverständlichkeit" mehr. Es brauche junge Männer und Frauen, die bereit seien, "unsere Art zu leben schützen".
In einer von der AfD beantragten namentlichen Abstimmung votierten dann 323 Abgeordnete für die Pläne, 272 dagegen. Geschlossen stimmte die Union für die Wehrdienstpläne, bei der SPD gab es mit dem 34-jährigen Abgeordneten Jan Dieren einen Abweichler. AfD und Linke stimmten geschlossen gegen das Vorhaben, bei den Grünen gab es eine Enthaltung.
Hintergrund der Wehrdienst-Reform sind neue Vorgaben der Nato zu Personalstärken vor dem Hintergrund der erhöhten Bedrohung durch Russland. Demnach muss Deutschland bis 2035 im Krisen- und Kriegsfall rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten bereit stellen können.
Pistorius plant dafür die Aufstockung der Bundeswehr von aktuell gut 184.000 auf rund 260.000 aktive Soldatinnen und Soldaten. Die Zahl der einsatzbereiten Reservistinnen und Reservisten soll zudem auf 200.000 mehr als verdoppelt werden. Damit der neue Wehrdienst wie geplant zum 1. Januar starten kann, muss nun am 19. Dezember noch der Bundesrat zustimmen.
