Nutzfahrzeuge

Mercedes vor „Van-tastischer“ Transporter-Zukunft

  • Michael Kirchberger
  • In NUTZFAHRZEUGE
  • 7. September 2016, 16:59 Uhr

Gerd Leonhard ist Zukunftsforscher und verspricht uns, dass sich die Entwicklung unserer Technik in den nächsten 20 Jahren umfassender verändern wird als in den vergangenen 300. Das betrifft auch das Konsumverhalten, die Mobilität und das Transportgewerbe. Mercedes-Benz will auf dem Van Innovation Campus Antworten geben.

Gerd Leonhard ist Zukunftsforscher und verspricht uns, dass sich die Entwicklung unserer Technik in den nächsten 20 Jahren umfassender verändern wird als in den vergangenen 300. Das betrifft auch das Konsumverhalten, die Mobilität und das Transportgewerbe. Mercedes-Benz will auf dem Van Innovation Campus Antworten geben.

Der Transporter wird geliebt und gehasst. Normale Autofahrer schrecken auf, wenn im Rückspiegel bei 140 Sachen auf der Autobahn plötzlich eine weiße Wand die Sicht nach hinten versperrt: Der Van eines eiligen Lieferanten oder Handwerkers will vorbei. Beide haben es naturgemäß eilig, die Fahrer sind nicht immer geschult und in der Fuhrparkbranche sprechen schon viele vom gefürchteten "White-Van-Man", der, koste es, was es wolle, sein Ziel möglichst zügig erreichen will.

Mercedes-Benz Vans hat den Blick in die Zukunft des Transportergewerbes gerichtet und will mit Digitalisierung, Automatisierung und präziser Steuerung der Lieferwege das Gefahrenpotenzial der schnellen und gar nicht immer leichten Nutzfahrzeuge mindern. Die Lösungsansätze dafür basieren auf ähnlichen Schemata. Der Zeitaufwand bei vermeintlich unproduktiven Tätigkeiten soll verringert, Fahrten vermieden und der Fahrer ganz allgemein entlastet werden.

So ist für Lieferdienste wie DHL und andere eine automatisierte Beladung des Transporters in Vorbereitung. In einem Roboter-bestückten Lager bestücken die elektrischen Kerle passgenaue Regale in der für die Auslieferung richtigen Reihenfolge und fahren sie dann direkt in den Laderaum des Lieferfahrzeugs hinein. Ganze 90 Sekunden dauert das. Heute bestücken die Fahrer ihre Transporter meist selber, je nach Sachlage dauert dies zwischen einer und drei Stunden, so Ralf Kehrberger, bei Daimler für die Gestaltung der Cargo-Systeme zuständig.

Nach einer Studie werden zumindest bis zum Jahr 2020 81 Prozent der Verbraucher ihre Einkäufe nicht mehr im Supermarkt, sondern per Internet und Lieferdienst erledigen. Das heißt der Lieferverkehr wird weiter wachsen. Auch kleine Bestellmengen sind dann gewünscht, hierfür haben Entwickler im berühmten kalifornischen Silicon Valley ein Regalsystem für Vans entwickelt, das sich merkt, welche Ware wo abgelegt wurde. Ein farbiges Lichtsystem zeigt dem Fahrer an, wo er die Ware nach dem Erreichen des Lieferziels wiederfindet. Diese Erleichterung für die Jungs und Mädels in der Fahrerkabine ist dem Umstand geschuldet, dass die Fluktuation in der Belegschaft meist hoch ist und die Zeit zum anlernen knapp. Der Rechner in der Zentrale, per Smartphone und App mit den Fahrern verbunden, übernimmt nicht nur die Zielführung zum Besteller sondern gibt auch die Information weiter, man sollte nicht klingeln sondern nur klopfen. Das Baby schläft.

Die elektronische Führung dürfte in naher Zukunft heute kaum vorstellbare Auswirkungen haben. Fahrer werden erzogen, sowohl was die Fahrweise als auch den ökonomischen Einsatz des Motors, sprich - den Spritverbrauch angeht. Wer Treibstoff spart, wird mit einem zusätzlichen freien Tag belohnt, wer durch riskante Fahrweise auffällt, muss mit verstärktem Wochenendeinsatz rechnen oder wird zur Nachschulung geschickt.

Große Chancen sieht Daimler auch für die Elektromobilität im Transportergewerbe und beim Lieferverkehr. Hier würden völlig neue Denkansätze möglich. Wenn ein Lieferfahrzeug mit elektrischem Antrieb nahezu lautlos unterwegs ist, könnten Lieferungen in Wohnbereichen oder Fußgängerzonen sogar erfolgen, während die meisten Menschen schlafen, so Heinla Ati, der am Projekt "Vans and Robots" arbeitet. Der Van könnte Kehrroboter transportieren, die dann ebenfalls beinahe lautlos die Straßen und Gehwege reinigen. Zu einer Zeit, wo kaum einer unterwegs ist, was die Aufgabe deutlich erleichtert.

Das Reichweitenproblem stelle sich nicht. Die meisten Lieferdienste folgen gängigen und bekannten Routen, deren Länge kaum variiert und der Energievorrat an Bord stets ausreichend bemessen werden kann. Außerdem vergrößere der Ersatz des voluminösen Verbrennungsmotors durch eine kleine Elektromaschine das Ladevolumen. Die Batterien können dabei platzsparend im Unterboden platziert werden, der ohnehin nicht als Laderaum zur Verfügung steht. Ganz abgesehen davon finden E-Transporter in Zukunft auch dort Zufahrt, wo Städte die Umweltkriterien auch für den Lieferverkehr verschärfen.

Ganz futuristisch mutet schließlich der kombinierte Einsatz von Vans und Drohnen an, den Mercedes-Benz Vans für aussichtsreich hält. Eilige Lieferungen, etwa für einen Handwerker, dem eine Diamant-Schleifscheibe am Werkzeug zerbricht, könnte auf diese Weise schnell Ersatz erhalten. Als Landeplatz des Fluggeräts dient das Dach des Vans, wo sie automatisch niedergeht. Vorher müssen der Empfänger und der Fahrer des Wagens die sichere Landemöglichkeit per App-Nachricht bestätigen.

Neben all diesen "Van-tastischen" Aussichten fällt auf, dass Daimler ebenso wie andere Automobilbauer zunehmend auf Aktivitäten jenseits des ursprünglichen Geschäftsmodells setzt. Es stehe allerdings nicht zu befürchten, das Autos und Transporter demnächst zum wohlgelittenen Übel der Branche werden könnten, sagt Volker Mornhinweg, Leiter Mercedes-Benz Vans. Wir wollen dem Mann Glauben schenken. Schließlich war er in seiner vorherigen Position innerhalb des Konzerns Chef der Mercedes-Mucki-Bude in Affalterbach. Der hauseigenen Schmiede für Supersportwagen.

Michael Kirchberger

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