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Gelegentlich hat der Großmeister der knappen Worte tatsächlich große Worte gemacht. Die waren allerdings im ersten Moment oft nicht zu begreifen. So antwortete der kürzlich verstorbene Ferdinand Piëch 2011 auf die Frage eines Reporters der Tageszeitung ,,Die Welt", wann denn endlich das Ein-Liter-Auto auf den Markt käme, ultraknapp dies: ,,In 13". Einen Moment später schob er ein weiteres dürres Wort hinterher: ,,Großserie!" Sollte heißen: Von 2013 an wird VW ein Ein-Liter-Auto im Angebot haben, das wie der Golf zu Tausenden vom Band laufen wird. Einen Wagen also, der nicht mehr als einen Liter Diesel auf 100 Kilometer verbraucht. Ohne Zweifel super Aussichten - wenn es so gekommen wäre. Dann hätte der Konzern vermutlich heute noch ein Auto im Programm, das hervorragend in diese von Klimagebrüll geprägte Zeit passen würde.
Schauplatz dieser Ankündigung war 2011 der Qatar Science and Technology Park des Emirats Katar. Selbst das Staatsoberhaupt Emir Scheich Hamad bin Kalifa al-Thani gab sich damals die Ehre. Hintergrund für die ziemlich sensationelle Enthüllung war, dass Katar seinerzeit auf dem Höhepunkt des Machtkampfes zwischen Porsche und Volkswagen um die Herrschaft im Konzern mit weiteren zehn Prozent bei der Porsche-Holding eingestiegen ist, was sich zusammen mit Katars älteren VW-Anteilen auf 17 Prozent summierte. Kein Wunder also, dass VW den ultimativen Spritsparer im Land des VW-Großaktionärs präsentierte und obendrein mit sieben Marken auch als Aussteller auf der international unbedeutenden Qatar Motor Show auftrat.
Doch der Plan Piëchs, sich mit Hilfe des epochalen Ein-Liter-Autos XL 1 zum visionären Nachfolger von Ferdinand Porsche zu machen, seinem Großvater, ging nicht auf. Das ist noch heute ziemlich unverständlich. Denn gerade in Zeiten, in denen massenhysterisch Ökoautos herbeiprotestiert werden, in denen große wie kleine SUV Todesmaschinen zu sein scheinen und in denen jeder eingesparte Fingerhut Kraftstoff frenetisch beklatscht wird, müsste ein Fahrzeug, das nur knapp einen Liter Treibstoff auf 100 Kilometern konsumiert, höchst willkommen sein.
Warum daraus nichts wurde, ist einfach. Es waren zum einen die immensen Entwicklungskosten für Technik und die besonders leichten wie exotischen Materialien, bei denen die Konzernoberen insgesamt befürchteten, dass das dafür aufgewendete Geld nie wieder reinkäme. Selbst bei einem Preis von über 100 000 Euro nicht, der wohl gleichzeitig auch ein Kauf-Hemmschuh gewesen sein dürfte. Und zum anderen war vermutlich auch der Käufermarkt noch nicht reif für solch einen flachen Zweisitzer (ohne Servolenkung).
Zunächst jedoch, als die Euphorie um das Auto noch groß war, kam es zu einem deftigen Ankündigungsdurcheinander aus dem Konzern. So wurde im Februar 2013 bekannt, dass das serienreife Modell XL 1 auf dem Genfer Auto-Salon desselben Jahres vorgestellt werden solle und die Produktion einer Kleinserie von 100 bis 1000 Stück bei Volkswagen Osnabrück beginnen werde. Als Preisspanne kursierten Summen von 40 000 bis 100 000 Euro. Kurz danach wurde das Produktionsziel auf nur noch 50 Fahrzeuge gesenkt, auch solle diese Kleinserie nicht im freien Handel verfügbar sein, sondern lediglich verleast werden. Im März 2013 war wieder von 250 Fahrzeugen die Rede. Diese Stückzahl wurde im September 2013 erneut genannt und der Preis nun mit 111 111 Euro beziffert.
Schließlich ging das knapp 800 Kilo leichte Auto ab März 2014 tatsächlich in Serie - nur noch 200 handgefertigte Exemplare war das ausgegebene Ziel. Und 2016 wurde die Produktion nach Erreichen dieser Stückzahl eingestellt. Die meisten XL1 sind wohl in Sammlerhand und dürften die größte Zeit ihres Daseins blank geputzt und wenig gefahren im Ruhestandsmodus in Garagen verbringen. Zwei Stück sind indes auf dem Markt und werden auf den einschlägigen Online-Börsen mobile.de und autoscout24.de angeboten (Stand: 18. September): eines für 89 590 Euro mit 1990 Kilometern auf dem Tacho, das andere für den Neupreis von 111 111 Euro mit immerhin 9000 Kilometern auf dem Zähler.
Die Pleite mit dem XL 1 war mitnichten die einzige in der Amtszeit von Piëch, die sich vom 1. Januar 1993 bis April 2002 erstreckte. In der Rückschau auf die Ära des in dienstlichen Dingen genauso knorrigen wie unerbittlichen Österreichers muss man zwar feststellen, dass Ferdinand Piëch den damals hoch defizitären Laden Volkswagen vor dem Ruin gerettet hat. Sonst wäre VW mit Karacho an die Wand geknallt. Und dabei hat er es gleichzeitig verstanden, durch clevere Maßnahmen wie flexible Arbeitszeitregelungen Massenentlassungen zu vermeiden. Andererseits hat er aber eben auch zusammen mit dem XL 1-Desaster mindestens vier weitere Millionen- oder Milliardengräber geschaufelt, die zwar längst in der Mottenkiste deutscher Wirtschaftsgeschichte verstauben, die aber für die Bewertung seiner Arbeit wichtig sind. Hier die anderen vier.
Nummer zwei: Die Lopéz-Affäre, ein Wirtschaftskrimi sondergleichen, der nicht nur für Piëch persönlich extrem peinlich war, sondern auch teuer. Kurz nach seinem Amtsantritt 1993 verkündete Piëch eine spektakuläre Personalie: Er holte José Ignacio López und sieben seiner Getreuen von General Motors zum VW-Konzern nach Wolfsburg, wo dieser den neuen Vorstandsbereich ,,Produktionsoptimierung und Beschaffung" übernahm. Was Piëch angeblich nicht wusste: Lopéz hatte GM-Firmeninterna mitgenommen, um dieses Wissen bei VW gewinnbringend einzusetzen. Das Ende vom Lied: Piëch musste López schließlich 1996 zum Rücktritt drängen, außerdem zahlte VW 100 Millionen US-Dollar Schadensersatz an GM und erklärte sich um des Friedens willen ferner bereit, für eine Milliarde Dollar Bauteile von General Motors zu beziehen.
Nummer drei: Der missglückte Versuch Piëchs, 1998 die beiden britischen Edelmarken Rolls Royce und Bentley unters Wolfsburger Dach zu holen. Als der große Macher glaubte, beide Firmen sicher zu haben und dies auch verkündete, musste sich Piëch von BMW-Chef Bernd Pischetsrieder sagen lassen, dass BMW (schon länger) die Markenrechte an Rolls Royce besitzt und dass der VW-Retter bestenfalls Bentley kaufen könne.
Was war geschehen? Per Handstreich schien Piëch im Übernahmekampf um Rolls Royce den Rivalen BMW ausgestochen zu haben - und hatte für knapp 750 Millionen Euro den Zuschlag erhalten. Doch den Hausjuristen war entgangen, dass das Paket lediglich die Fabrik, einige hundert Arbeiter und die Rechte für die Marke Bentley enthielt. Piëch versuchte damals die Blamage mit den Worten zu mildern, dass Bentley ja sowieso besser zu VW passe, weil es die sportlichere Marke von beiden sei. Inzwischen scheint es so, dass man in Wolfsburg längst nicht mehr glücklich mit Bentley ist, weil die Kassenlage der Upper-Class-Marke offenbar unersprießlich ist.
Nummer vier: Der 3L-Lupo ab Herbst 1998, der einen betont muskelschwach gehaltenen Dreizylinder-Diesel mit stark gezügeltem Durst (nur drei Liter Verbrauch) unter der kurzen Fronthaube besaß. Damit wollte sich VW an die Spitze der international aufkeimenden Disziplin der Kraftstoffknauser setzen. Das nur knapp eine Tonne leichte Wägelchen sollte signalisieren: Wir bei VW haben die Zeichen der Zeit erkannt, sparsam ist jetzt angesagt. Das war wohl viel zu früh. Denn für VW-Verhältnisse versammelten sich ebenso sparsam auch die Kunden. Es wurden bis zur Produktionseinstellung nur knapp 500 000 Stück gebaut. Auch dieses Projekt bescherte dem Konzern vor allem eines: Kosten von vielen 100 Millionen Euro und mutmaßlich keinen Groschen Gewinn.
Nummer fünf: Anfang der Nullerjahre schließlich die modellpolitische wie wirtschaftliche Bruchlandung mit dem Luxus-Volkswagen Phaeton, für den sogar eine eigene (gläserne) Fabrik in Dresden hochgezogen wurde. Von der Oberklasse-Kalesche, die von 2001 bis 2016 hergestellt wurde, liefen nur etwas mehr als 84 000 Stück in der gläsernen Fabrik vom Band. Unterm Strich ein gigantischer Flop, der den Konzern nach Schätzungen von Analysten mehr als zwei Milliarden Euro gekostet haben dürfte.
Heute wird in dem einstigen Renommierwerk mit Show-Charakter, an dem sich Zuschauer außen die Nasen an den riesigen Fensterflächen plattdrücken konnten, die Elektroversion des Golf zusammengebaut. Dabei sollte der Phaeton, benannt nach einem Sohn des griechischen Sonnengotts Helios, schnurstracks Kurs auf den Olymp der Autogötter nehmen: ein ohne Zweifel hochwertiges Automobil für die oberen Zehntausend. Eines, dass es mit Image trächtigem Zwölfzylindermotor genau so gab wie später mit einem Sechs-Zylinder-Diesel. Doch die angepeilten oberen Zehntausend hatten offenkundig wenig Interesse an dem optisch unauffälligen Wagen.
Die Absatzerwartung von 20 000 Stück pro Jahr hat der Fünf-Meter-Lulatsch nie erfüllt. Laut Geschäftsbericht wurden 2011 die meisten Phaeton hergestellt: 11 166 Stück. Danach kam der Absturz. 2014 lag die Produktion nur noch bei rund 4000 Autos. Analysten schätzten Anfang 2015, dass VW pro Wagen 28 000 Euro zubuttern musste. Zuletzt kostete der Luxusschlitten mindestens 89 650 Euro - ohne Sonderausstattung. Etwas gemildert wurde die Lage durch die konzernweite Verwendung der Phaeton-Bodengruppe. So nutzte auch der Audi A8 (Generation D3) die Plattform und schaffte in sieben Jahren Bauzeit fast 150 000 Einheiten. Auch die Konzerntochter Bentley profitierte von dieser technischen Basis, ohne die die Modelle Continental und Flying Spur deutlich kostspieliger in der Herstellung geworden wären.
Und jetzt der radikale Strategieschwenk des amtierenden Vorstandsbosses Herbert Diess, der die Marschrichtung ausgegeben hat: ,,Weg vom Verbrenner, hin zum reinen Batterieauto!" Damit geht Diess wie Piëch ehedem ebenfalls ein gigantisches Risiko ein. Wenngleich mittelfristig die Ladeinfrastruktur für einen Mega-Ansturm womöglich gerüstet sein mag, so trifft das wohl kaum auf die Stabilität des deutschen Stromleitungsnetzes zu, das nach Expertenmeinung zumindest derzeit nicht für die Anforderungen von massenhaften Aufladeaktionen ausgelegt ist.
Es bleibt also abzuwarten, wie groß ein eventueller Aufschrei werden wird, wenn in den nächsten Jahren Zehntausende die Akkus ihrer Elektro-VW über Nacht laden wollen, das Stromnetz dabei aber in die Knie geht. Gut möglich, dass Herbert Diess dann in puncto Fehlplanung und Millionengrab die gleichen Prügel beziehen wird wie Piëch einst, weil auch Diess womöglich zu früh zu viel wollte. Andererseits gilt natürlich auch für ihn die alte Weisheit: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. (ampnet/hk)